Reduziertes Vokabular mit unbegrenzten Möglichkeiten
Die in allen Dimensionen wirksame Zeichensprache des Christoph Mancke
(Dr. Lieselotte Sauer-Kaulbach)
Der jüngste Wettbewerb „Kunst am Bau“, den Christoph Mancke gewann, dürfte einer seiner bisher schwierigsten gewesen sein. Es ging um eine Arbeit für das Dokumentationshaus zum ehemaligen SS-Sonderlager Hinzert. Das Gebäude entwarfen die Architekten Wandel-Hoefer-Lorch & Hirsch als kompromisslos kargen Bau aus Cortenstahl. „Dieser Architektur kann man als Bildhauer kaum eine Skulptur entgegenstellen“, kommentiert Mancke seinen Entwurf, bei dem er nicht nur ein für seine bisherige Arbeit eher ungewohntes Material einsetzt, Glas, sondern sich auch, und das als Bildhauer, in die Fläche zurückzieht. Ähnlich hatte er das schon vier Jahre zuvor, 2002, einmal getan, bei einem Bodenwasserrelief für den Trierer Kornmarkt, in diesem Fall aus Respekt für den historischen Brunnen, der den Platz beherrscht und mit dem in Konkurrenz zu treten er klug vermied.
Die Arbeit für Hinzert besteht aus drei trapezoiden, in den Boden eingelassenen Glasplatten, auf der Rückseite in einem metallisch schimmernden Grau beschichtet, das die Begriffspaare „gestern/heute“, „gegenwart/vergangenheit“ und „vergessen/erinnern“ in den Sprachen der in Hinzert gefangen Gehaltenen reflektiert - und damit beim Betrachter oder, in diesem Fall, auch Begeher Reflexion auslösen, Bewusstseinsprozesse und die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit den erschütternden, menschenverachtenden Geschehnissen der nationalsozialistischen Zeit befördern soll.
Sicher ist das ein schon allein aufgrund dieser konkreten, über die Arbeit an sich hinausweisenden Zielsetzung für Christoph Mancke nicht eben typischer Entwurf und dennoch einer, der mit der spezifischen Handschrift, dem formalen Vokabular des Künstlers durchaus zu vereinbaren ist. Ein Vokabular, das er sich über Jahre und Jahrzehnte konsequent erarbeitete und aneignete. Ebenso selbst erarbeitet ist die künstlerische „Grammatik“, sind die Regeln, nach denen er die Wörter, besser: die Zeichen seines Vokabulars nutzt, einsetzt, variiert.
Wie kreativ, phantasievoll und einfühlsam er dabei vorgeht, belegt nicht zuletzt die große Anzahl gewonnener Wettbewerbe für „Kunst am Bau“ bzw. im öffentlichen Raum, die seine Vita in den letzten zehn Jahren verzeichnet. Ganz Unterschiedliches ist darunter, ein Brunnen vor dem Palais Walderdorff in Trier, Skulpturen für den Umweltcampus der Fachhochschule Birkenfeld, ein Objekt für das Justizzentrum in Meiningen, Arbeiten für die Bundesgartenschau in Magdeburg, für die Landesregierung Thüringen in Erfurt und für die Landesversicherungsanstalt in Speyer. Mancke verwendet dabei verschiedenartigste Materialien, vor allem jedoch Cortenstahl und Stein bzw. eine Kombination aus beidem. Cortenstahl tritt zunehmend, schon der geforderten Dimensionen halber, an die Stelle des lange Zeit für kleinere Arbeiten favorisierten Eisengusses, ist ihm jedoch ganz verwandt im rötlich-braunen Farbton der natürlichen Patina, die weich wie eine samtige Haut die Form überzieht, deren mögliche geometrische, architektonische Strenge mildert, Anorganisches mit Organischem verbindet.
Den Eindruck des Architektonischen verstärkt die Tatsache, dass Mancke immer wieder zur gleichfalls bereits von frühen Objekten vertrauten Mehrteiligkeit - selbst bei seinem Entwurf für Hinzert - zurückkehrt, oft genug so Räume im Raum schafft, Spannungsfelder, in denen er Formen miteinander in Bezug setzt. Formen, die in der jüngeren Vergangenheit wieder auffällig zum Figurativen tendieren, zum Ausgangspunkt aller Bildhauerei überhaupt, zur menschlichen Gestalt zurückkehren.
Ein gutes Beispiel dafür ist die gerade in Arbeit befindliche Skulpturengruppe „Amitié“ für seinen Geburtsort Schönecken, eine Dorfplatzgestaltung mal der erfreulich anderen, qualitätvollen, auf altdeutsch-rustikale Möblierung und verkitschte Brunnenanlagen verzichtenden Art. Man könnte diese Gruppe auch als Installation bezeichnen, bestehend aus vier Teilen, zwei Steinkeilen, die mit ihren Spitzen zueinander gekehrt auf dem Boden liegen, und zwei Cortenstahlfiguren (jawohl, hier darf und muss man wirklich von Figuren, männlich die eine, weiblich die andere, sprechen!),die durch die Keile regelrecht aufeinander zugeschoben werden. Dabei sind sie ohnehin eng miteinander verklammert, arbeitet doch hier der Künstler mit dem aus anderen Werken seinerseits vertrauten Antagonismus von konvex und konkav, von positiven und negativen Formen, so dass die eine Gestalt (die Schöpfungsgeschichte umkehrend aber nicht die der Eva, sondern die Adams!) aus der anderen herausgeschnitten sein könnte.
Natürlich sind dies trotz aller figurativen Tendenz keine Skulpturen à la klassische Moderne, sondern aufs Wesentliche konzentrierte, reduzierte Schöpfungen, angesiedelt zwischen Stele und Gestalt. Mit den Stelen, die gleichfalls zum festen Manckeschen „Vokabular“ gehören, teilen die figürlichen Arbeiten die Vorliebe nicht allein fürs entschlossene Streben in die Vertikale (das einen geradezu philosophischen Beigeschmack annimmt, wenn man bedenkt, wie wichtig evolutionsgeschichtlich die Überwindung der Blickwinkel und Erkenntnis einengenden Erdverhaftung, also der Horizontale, durch den aufrechten Gang war), sondern auch eine ausgeprägte Neigung zur Schräglage. Die ist teilweise so extrem, dass sie allen Gesetzen der Schwerkraft zuwiderzulaufen scheint.
Eine der ersten Arbeiten, in denen der Künstler gegen diese Gesetze rebellierte, ist Anfang der 90er Jahre eine noch aus Gusseisen gefertigte, schwungvoll-filigrane Stele für die Landesvertretung in Rheinland-Pfalz, in betont schräger Haltung, fast in einer Art Schwebezustand zwischen Horizontale und Vertikale gegen eine portalartige Konstruktion gelehnt. Das setzt der Strenge der für den Künstler charakteristischen, eben zu seinem ureigenen Wort- respektive Zeichenschatz gehörenden Form eine Dynamik entgegen, die für Spannung, gar Beunruhigung sorgt. Gleichzeitig macht sie sensibel für die Labilität eines ansonsten schon der eigenen Bequemlichkeit halber als sicher und unumstößlich empfundenen Gleichgewichts - erst recht dann, wenn dabei so vermeintlich vollkommen stabile Faktoren wie Stein oder Eisen mit im Spiel sind. Materialien, bezeichnenderweise, die ihrerseits für die menschliche Entwicklung, für die Entwicklung von Zivilisation und Kultur von einschneidender Bedeutung waren. Ohne ihre immer ausgefeiltere Bearbeitung, ohne darauf basierende zunehmend raffiniertere und funktionalere Werkzeuge wären alle nachfolgenden Schritte, wäre z. B. Fortschritt ermöglichende Spezialisierung unmöglich gewesen.
Nirgendwo thematisiert Christoph Mancke „Gleichgewicht“, sicher nicht ganz zufällig, sondern in gezielter Anspielung auf den labilen Zustand von Ökosystemen, so explizit wie bei seinen Arbeiten für den Umwelt-Campus der Fachhochschule in Birkenfeld. In ihnen treibt er sein Spiel mit eben diesem, wörtlich zu nehmen, auf die Spitze. Da ist beispielsweise die „Stele des Gleichgewichts“, die kaum noch in der Balance bleiben zu können scheint, weil sie extrem steil, extrem spitz und extrem schräg wie ein Speer gen Himmel sticht, auch nachts unübersehbar durch ihre dank Solarstrom gleißend helle Spitze. Kubricks „2001“ und der Erkenntnis symbolisierende leuchtende Obelisk lassen grüßen, ob bewusst oder unbewusst, sei dahingestellt, aber immerhin geht es ja gerade auch in einer Hochschule um Erkenntnis und möglichst großen Zugewinn daran. In einem zweiten Objekt vor dem Haupteingang zum Hochschulgebäude macht der Künstler Schräge und Labilität für den Betrachter eher spielerisch erfahr- und begehbar, legt ihm eine von einem Edelstahlwürfel und einem Würfel aus Alteisen austarierte „Fläche des Gleichgewichts“ in den Weg. Wie bei einer großen Waage senkt eine Seite dieser Fläche sich ganz langsam beim Betreten herunter, während die andere Seite sich hebt.
Fast pikant bedrohlich in Bezug auf den Ort, an dem sie steht, ein Justizzentrum, mutet dagegen der für Meiningen konzipierte Entwurf an, eigenwillige und darum eben wieder ganz Manckesche Version der Justitia, die mit ihrer Waage möglichst gerecht gut und böse abwägt. Figürliches fehlt allerdings hier völlig, statt dessen greift der Bildhauer auf ein anderes häufig benutztes „Zeichen“ seines kreativen Vokabulars zurück, auf U-förmige bzw. portalartige Elemente, die hier noch dazu perfekt mit dem Kubischen, Rechteckigen einer Glas und Stahl favorisierenden Architektur harmonieren. Ein niedrigeres und ein höheres „Portal“ aus Cortenstahl sind ineinander geschoben, halten, und das ohne jede zusätzliche Absicherung, ohne verbindende Schrauben und Nieten, einen schweren Block aus Kylltaler Sandstein (diese Materialkombination, die Mancke gleich mehrfach, beispielsweise auch bei einem Objekt für das Geologische Landesamt in Mainz verwendete) in der Schwebe, im Gleichgewicht: Ein Gefühl latenter Gefahr bleibt. Natürlich ist statisch trotzdem alles hieb- und stichfest, wie es bei einem Künstler, für den auch das Handwerkliche seiner Arbeit wichtig ist, der nicht immer nur von anderen ausführen lässt, sondern selber bei der Umsetzung seiner Entwürfe Hand anlegt, kaum anders sein kann.
Eingehen auf den Ort, Eingehen auf vorhandene Architektur, auf Historie, Nutzung, Landschaft. Kein Wunder, dass Christoph Mancke die teilweise recht engen Vorgaben der entsprechenden Ausschreibungen nicht als Kreativität einschnürendes Korsett, sondern gar als diese beflügelnde Anregung auffasst. Kein Wunder auch, dass die kleineren Skulpturen, die im gleichen Zeitraum wie die Entwürfe für „Kunst am Bau“ entstanden sind bzw. gegenwärtig entstehen, eine Einheit mit jenen bilden. Mancke braucht nicht, um in unserer Bildlichkeit zu bleiben, die „Großbuchstaben“, die kapitale Majuskel, um zu überzeugen. Seine Wörter, seine Zeichen wirken auch als Minuskel, im kleinen Format, wie etwa eine seiner neuesten Arbeiten, ein zweiteiliges multiples Objekt, zusammengesetzt bzw. zusammensetzbar aus Formen, die von den großen „Geschwistern“ her vertraut sind, ein U-förmiges und ein figuratives Element. Fast unendlich ist die Zahl der Möglichkeiten für den Besitzer selber, mit diesen beiden Teilen zu spielen, sie in immer neue Beziehung zueinander zu bringen, einander stützend, umklammernd, durchdringend. Besser könnte ein Künstler kaum gleichzeitig unverkennbar eigene Handschrift und dennoch schöpferische Vielfalt demonstrieren, die Einheit in der Mannigfaltigkeit, die unbegrenzten Möglichkeiten eines reduzierten Vokabulars.